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Alt 04.09.2009, 13:47
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Gespräch mit Marcus Mittermeier und Elli Erl in der Mittelbayerischen Zeitung

Castingshows und die Sehnsucht nach Ruhm: DSDS-Gewinnerin Elli Erl und Regisseur Marcus Mittermeier


Zitat:
Gespräch mit Marcus Mittermeier und Elli Erl
Meldung vom 03.09.2009, 18:47 Uhr


Im Haifischbecken des Ruhms

„Short Cut To Hollywood“, der Film des Pentlingers Marcus Mittermeier, kommt am 24. September in die Kinos. Der Streifen nimmt TV-Reality- und Castingshows aufs Korn.



Regensburg.
Es ist ein Traum, den wohl jeder schon geträumt hat: Einmal im Fokus der Aufmerksamkeit zu stehen, von allen gesehen, bewundert, geliebt zu werden. Oder zumindest die fünfzehn Minuten Ruhm zu erlangen, die laut Andy Warhol jedem zustehen. John F. Salinger sind fünfzehn Minuten nicht genug: Er will nichts weniger als die Unsterblichkeit. Die Hauptfigur aus dem neuen Film der beiden Filmemacher und Schauspieler Marcus Mittermeier und Jan Henrik Stahlberg geht bis zum Äußersten, um sich nachhaltig ins Gedächtnis seiner Mitmenschen einzuprägen. Er ist bereit, das letzte Tabu zu brechen. Mit ihrer Figur führen Stahlberg und Mittermeier ihren Zuschauern auf drastische und stark überzogene Weise vor, wie Medien und Medienkonsumenten den öffentlichen Tabubruch feiern. Salinger ist wild entschlossen, eine geisteskranke Idee in die Tat umzusetzen: Er will vor laufender Kamera sterben. Mittermeiers Film zeigt, wie der Hype um einen Tabubruch entstehen kann und Fahrt aufnimmt. Laut Mittermeier ist „Short Cut To Hollywood“ eine Zeitgeistanalyse, die thematisiert, dass Menschen bereit sind, sich selbst so weit zu verleugnen, dass es Konsequenzen für ihr eigenes Leben hat.“

Mittermeier drehte mit „Short Cut“ einen Film, der mit beißendem Spott hinter die Kulissen der „Superstarmaschine“ blickt. Vieles von dem, was der Film zeigt, kennt die Straubingerin Elli Erl aus eigener Erfahrung. Die MZ traf die beiden zum Doppelinterview – es entspann sich eine angeregte Diskussion über die Rolle von Zuschauern, Machern und Teilnehmern von Castingshows.

Erl wird oft an ihre Zeit in der Castingshow „Deutschland sucht den Superstar“ (DSDS) erinnert. Die Musikerin hat in Regensburg Realschullehramt studiert und wurde 2004 durch ihren Sieg bei der zweiten DSDS-Staffel bekannt – allerdings ist von ihr auch in Erinnerung geblieben, dass sie sich von DSDS-Mastermind Dieter Bohlen nicht verbiegen ließ. Heute hat Erl der „Superstarmaschine“ den Rücken gekehrt und sich voll ihrer Leidenschaft, der Musik, verschrieben. Sie tourt durch Clubs und Kneipen, steht auf Festivalbühnen. Auch wenn sie heute in Nordrhein-Westfalen lebt, tritt sie besonders gern in Regensburg auf, wo sie viele Leute noch von früher kennt.



Geschicktes Konzept – aus Sicht der Fernsehmacher

„DSDS“ ging derweil munter weiter: Die sechste Staffel endete erst im Mai. Demnächst geht es wieder los, im September gibt es sogar ein Casting in Regensburg. Mittermeier gesteht der Show ein geschicktes Konzept zu: „DSDS bietet die Möglichkeit, einen Traum zu leben und sich abzuheben. Aus der Sicht der Fernsehmacher ist das ein super Format, sehr clever gemacht: Immer wieder werden dramatische Vorgänge inszeniert, die den Zuschauer am Fernseher halten.“ Stahlberg und er haben es in „Short Cut“ ebenso gemacht. John F. Salinger (gespielt von Stahlberg) und seine beiden Freunde Matt (Mittermeier) und Chrismon (Christoph Kottenkamp) halten das amerikanische Fernsehpublikum in Atem, indem sie ständig neue, immer heftigere Tabubrüche ankündigen und sie vor der Kamera blutig einlösen. So werden sie immer berühmter, die Fans laufen ihnen in Scharen nach.

So läuft das nicht einmal bei DSDS. „Es ist mittlerweile bewiesen, dass die DSDS-Teilnehmer nicht die großen Karrieren einschlagen“, sieht Erl das Format heute zwiespältig. Sie habe sich entschieden, mitzumachen, um bekannter zu werden. „Im Nachhinein kann ich sagen, dass mir DSDS für meine Bekanntheit unheimlich genützt hat. DSDS hat mir geholfen, meinen Traum, Musikerin zu sein, auch zu leben. Durch die Sendung habe ich Thomas Stein kennengelernt, meinen musikalischen Ziehvater. Ohne das wäre ich heute wohl Lehrerin. Aber ich habe auch mit Vorurteilen zu kämpfen, wenn ich an Leute gerate, die DSDS kritisch sehen.“

Sie selbst tut das auch. Vergangenes Jahr, da reiste sie durch die USA und zog mit ihrer Gitarre durch die Kneipen. Da merkte sie, dass die Leute, die sie traf, ganz anders reagierten, wenn sie erzählte, sie habe eine Castingshow gewonnen. Seither geht sie auch zuhause offensiv damit um. Sie hat DSDS als Teil ihres Lebens akzeptiert.



Aber sie räumt auch mit Klischees auf: „Oft meinen die Leute, DSDS, das bedeutet Knebelverträge. Es sind aber branchenübliche Vereinbarungen.“ Und wer völlig talentfrei sei, werde beim Casting nicht genommen. „Entweder man zeigt eine Leistung oder jemand ist ein Typ, der sich gut vermarkten lässt“, bringt Erl die Kriterien auf den Punkt. Mit letzterem meint sie zum Beispiel Daniel Küblböck.

Mittermeier sieht besonders einen Punkt kritisch: „Wenn jemand so ganz jung in diese Maschine kommt, in diese Sendung, die vorher am Reißbrett genauestens geplant wurde, dann beginnt in meinen Augen eine menschliche Katastrophe.“

Tatsächlich hatte auch Erl Bedenken, bloßgestellt zu werden. Ihr nützte ihr selbstbewusstes Auftreten. „Wir Kandidaten waren wahnsinnig vorsichtig. Wir haben ja mitbekommen, was in der ersten Staffel lief. Da gab es diese Aufregung um die Brustvergrößerung von Juliette Schoppmann. Ich habe lange nachgedacht, ob ich mich dieser Maschine aussetzen soll. Man wird ja in ein Haifischbecken geworfen und muss sich da drin behaupten. Und ich wollte heil aus der Sache rauskommen.“ Verheizt wurden andere, wie Erl berichtet: Zum Beispiel Lorenzo, der nach einer Geschlechtsumwandlung zu Lorielle London wurde. „Schade um ihn, denn er hatte eine sehr gute Stimme“, sagt Erl. „Auch Leute wie Tobias Regner, der Musiker ist, hatten es schwer.“ Doch auch sie selbst kämpfte mit Schwierigkeiten: In den Augen der DSDS-Macher war ihr Outfit nicht ausreichend kameratauglich. „Am Ende habe ich mich gefügt und hochhackige Schuhe angezogen, weil ich die Klamottendiskussion leid war“, erzählt Erl. Genervt hat sie, dass sie nicht als Musikerin präsentiert wurde: „Die ersten Fernsehbilder zeigten mich beim Biertrinken.“

Sendungen mit einem
hohen Fremdschäm-Faktor


Schon bald ging es bei DSDS nicht mehr darum, Gesangstalente zu entdecken. Das Format entwickelte sich zu einer Freakshow mit musikalischen Einlagen. Erl: „Die Leute wollen Sendungen mit einem hohen Fremdschäm-Faktor. Als sich zeigte, dass die zweite Staffel schlechtere Einschaltquoten hatte als die erste, wurden wir gefragt, ob es nicht irgendwelche Geschichten über uns gibt für die Zeitungen.“ So ziehen sich Exzesse und inszenierte Affären durch alle Staffeln.

Marcus Mittermeier, der in Pentling bei Regensburg lebt,
drehte mit „Short Cut“ einen Film, der mit beißendem Spott
hinter die Kulissen der „Superstarmaschine“ blickt.
Vieles von dem, was der Streifen zeigt,
kennt die Straubingerin Elli Erl aus eigener Erfahrung.
Fotos: Peter Schröder


Genau da setzen die Macher von „Short Cut To Hollywood“ an. Wenn John F. Salinger gehypt wird, geht es ausschließlich um Inszenierung, nicht um Talent. „Die Leute wollen lieber Tränen sehen, als dass einer gut singt. Der Inhalt ist wichtiger als die Form“, sagt Mittermeier und meint damit gleichermaßen DSDS und die Lehre aus „Short Cut“, der eben nicht nur Komödie, sondern auch gesellschaftskritisch ist – ohne erhobenen Zeigefinger allerdings. Die Hauptfigur ist keinesfalls wehrloses Opfer einer übermächtigen Medienmaschine. Mittermeier: „John treibt die Dinge selbst voran, den Sender nutzt er als Werkzeug.“ Das ist die These des Films. Er kritisiert die Medien, aber nicht nur das: Er macht auch die, die sich beim Streben nach ewigem Ruhm selbst verlieren und jene, die diese Selbstaufgabe gebannt am Fernseher verfolgen, für Formate wie DSDS oder Dschungelcamp mit verantwortlich.

DSDS-Siegerin Elli Erl hat nach ihrem Erfolg erstmal einen Dämpfer bekommen. Sie brachte nach dem Ende der Staffel zwar eine Single heraus, doch das Album ließ zu lange auf sich warten, als dass sie von ihrer Popularität unmittelbar nach der Sendung noch hätte profitieren können. Erl hatte abgelehnt, das Album gemeinsam mit Bohlen aufzunehmen.

„Ich habe das nicht bereut. Es kann gut sein, dass er mich nach einem Jahr fallen gelassen hätte. Auch andere Angebote habe ich abgelehnt: Weitere DSDS-Zusammenkünfte oder eine Einladung zum Dschungel-Camp. Man weiß nie, was sie daraus machen. Erfolgreich will ich trotzdem sein. Ich will mir was leisten können, Urlaub machen. Aber ich möchte ich selbst bleiben und mich dafür nicht verlieren.“ Es geht eben nicht jeder so weit wie John F. Salinger. musik trifft film


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Geändert von Elli live Fan (04.09.2009 um 13:52 Uhr)
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